Ist mein Partner die große Liebe? Wunschbilder und Liebesideale
In einer Paarberatung geht es auch um die große Liebe. Manchmal hat man die Liebe verloren. Sie ist klein oder gering geworden. Oder der Alltag hat die Liebe getötet. Das ist ein Grund für den Verlust der Liebe.
Die Frage nach der großen Liebe ist mehr als die Suche nach Liebe überhaupt. Hier gibt es nämlich eine besondere Vorstellung. Demnach gibt es neben der Liebe noch eine andere, eine besondere und herausragende Liebe.
Vom Warten auf die große Liebe
Doch damit noch nicht genug. Es gibt in dieser Vorstellung nicht nur die große Liebe, sondern sie ist zugleich auch Person. Das heißt, diese große Liebe ist sozusagen personifiziert. Deshalb erscheint es, in dieser Vorstellung, auch sinnvoll, nach dieser großen Liebe zu suchen. Oder es herrscht die Idee vor, man müsse sich von der großen Liebe finden lassen. Wiederum anders gedacht: Die große Liebe wird einem zugedacht, als schicksalshaftes Geschenk. Da draussen, so könnte man meinen, gibt es die oder den Einen(n). Sie oder er ist die vorherbestimmte große Liebe für mich. Darum muss ich auch selbst entscheiden, gut überlegen, ob ich vorher kleine Lieben akzeptieren möchte. Gebe ich mich mit kleinen Lieben zufrieden? Oder warte ich, bis schließlich und endlich die große Liebe an die Tür meines Herzens anklopft.
Vom Aussortieren kleiner Liebe
Die Gefahr liegt natürlich au der Hand. Wenn es die Eine, oder wenn s den Einen gibt, die oder der die personifizierte große Liebe ist, muss ich unterscheiden. Folglich ist es meine Aufgabe, jede kleine Liebe zu erkennen. Immer in Relation zur großen Liebe. Ich beobachte Partner*Innen vielleicht mit Argwohn und Misstrauen. Zudem suche ich auch nach der Kleinheit der Liebe. Ich stelle demnach auch in Frage, was ich gerade habe. Wenn ich eine Paarbeziehung führe, dann frage ich mich: Ist diese(r) Partner*In wirklich die große Liebe? Bräuchte ich nicht etwas Anderes? Genügt mir überhaupt diese Liebe? Ist die gezeigte und empfundene Liebe nicht viel zu klein? Die Gefahr ist also ein negativer Blick, eine Suche nach Defiziten. Dann wird sich von der kleinen Liebe getrennt und mit ihr Schluß gemacht. Schließlich wird Platz gemacht für die große Zuneigung und ein besonderes Verbundenheitsgefühl, die hoffentlich noch kommen.
Konstrukte
Die Vorstellung von der großen Liebe ist meiner Ansicht nach immer Anlaß zur Nachfrage. Was ist denn die eine große Liebe überhaupt? Gibt es die große Liebe überhaupt?
Ich halte die sogenannte große Liebe zunächst für ein Konstrukt. Da haben wir ein Wunschbild, ein Ideal vor Augen. Dieses speist sich aus den Wünschen und Träumen der Partner*Innen.
Wenn wir aber dieses edle und leitende Wunschbild einer großen Liebe unser Eigen nennen, hat dies Auswirkungen auf unsere Paarbeziehungen. Wir sind dann damit beschäftigt, abzugleichen und zu vergleichen. Da ist einerseits unsere Lebenswirklichkeit. So sieht es also tatsächlich in der Paarbeziehung aus. Dies ist also das Verhalten meines Partner, meiner Partnerin. Andererseits ist dieses aber mein Ideal. Meine Vorstellung von der großen Liebe weicht davon ab.
Wie groß oder wie klein darf die Liebe sein?
Wie groß oder wie klein darf die Liebe denn sein, um eine Paarbeziehung zu haben? Wenn wir eine feste Vorstellung von der großen Liebe haben, dann müssen wir entscheiden. Wieder tauchen verschiedene Fragen auf:
- Ist es möglich, meine Paarbeziehung so zu verändern, damit ich endlich die große Liebe erlebe?
- Kann ich meinen Partner, meine Partnerin verändern, d.h. zur großen Liebe werden lassen?
- Wie klein darf, beziehungsweise wie groß muss die Liebe sein, damit ich mit ihr/ihm zusammenbleibe?
- Wunschbild und Wirklichkeit klaffen weit auseinander. Genügt das, was ich hier bekomme, um dennoch in der Beziehung zu bleiben?
Es ist und bleibt kompliziert. Ein Wunschbild kann überfordern und damit erst recht Probleme erzeugen. Die Abwesenheit alles Wünschenswerten und Traumhaften jedoch auch. Sollen wir nun nichts mehr ersehnen oder wünschen? Einfach hinnehmen, wie es läuft?
Von der Gefahr, die Größe einer Liebe zu übersehen
Kommen wir zu einem weiteren schwierigen Punkt. Nicht immer sind liebevolle Zuwendung und liebevolles Tun sofort zu erkennen. Wir haben möglicherweise ein hohes Ideal. In der Folge sehen wir aber, vor lauter Idealisierung, jene andere Vielfalt und Größe gezeigter Liebe eines Partners, einer Partnerin nicht mehr. Ich halte viel davon, liebe auch als Kommunikation zu sehen. Der bekannte Paartherapeut Arnold Retzer spricht bekanntlich von einem „Kommunikationscode der Liebe“ (Retzer, Arnold: Systemische Paartherapie. 4. Auflage, Stuttgart 2011, 45). Eine Liebesbeziehung ist in seiner Beschreibung ein „Kommunikationssystem“ (Retzer, 2011, 22).
Wenn wir davon ausgehen, dass Liebe auch Kommunikation ist, dürfen wir demnach folgende Fragen stellen:
- Wie teilt mir mein(e) Partner*In ihre/seine Liebe mit?
- Vielleicht ist ein Partner eher derjenige, der sie stillschweigend durch Taten zeigt?
- Oder äußert er sie durch verbindliche Treue?
- Teilt er mir seine Liebe durch seine Einsatz für Haushalt und Familie mit?
Die Frage ist aber, ob ich nun diese Form der Mitteilung erkenne und übersetze. Zudem auch, ob ich diese Botschaften als für mich ausreichend ansehe. Vielleicht bin ich ja vielmehr ein Virtuose der Gefühle und des Ausdrucks von Emotionen. Es kann ja überdies auch sein, dass ich Liebe über Zärtlichkeiten und Körperkontakt mitteile.
Dies führt wiederum zu weiteren Fragen:
- Verstehen wir uns also hier?
- Sprechen wir eine gemeinsame Sprache?
- Ist es uns möglich, ausreichend zu übersetzen?
Konflikte entstehen erfahrungsgemäß auch dann, wenn Partner*Innen Liebe nicht codieren und decodieren können. Probleme in Paarbeziehungen entstehen auch dann, wenn man die Liebesbekundungen des Anderen übersieht. Es ist ein Problem, wenn man nicht die richtigen Schüssel hat. Oder eben wenn man sie hat, aber nichts davon weiß. Problematisch ist zudem, die Weigerung, diese Schlüssel zu nutzen. Das ist mein Ideal! Leiste, Pardon, liebe so, wie ich es will!
Paarberatung mit Blick auf die große Liebe
Warum schreibe ich eigentlich so einen Artikel hier? Kann ich Menschen nicht einfach Ihren Traum von der großen Liebe lassen? Ist es nicht auch möglich, gegebenenfalls rückblickend, von einer Partnerin, von einem Partner als der großen Liebe zu sprechen? Ja das ist möglich. Ich schreibe diesen Artikel um zum Nachdenken anzuregen. Über Liebe wurde schon so viel geschrieben.
Ich schreibe nun etwas anderes hierzu, weil ich als Paartherapeut weiß, dass wir uns mit Liebesidealen und Wunschbildern auch selbst überfordern können. Ich bin nicht gegen die große Liebe! Vielmehr möchte ich einladen, zu differenzieren. Vielleicht lässt sich das auch als eine Aufforderung zur Verlangsamung verstehen. Mein Wunsch für Paare und einzelne Partner*Innen ist, dass sie Zeit finden, um einen Gang runter zu schalten.
Eine Paarberatung soll übrigens solch ein Ort des Innehalten und des Nachdenkens sein. Dabei nutze ich gerne das Bild des Boxringes. Paare stehen meiner Ansicht nach gerne innerhalb des Boxrings und ein Schlag ergibt den Anderen. Du bist so! Nein ich bin nicht so, sondern Du bist so! Und so weiter. Ich lade hier also ein, für einen Moment aus dem Ring auszusteigen und zur Seite zu treten. Raus aus der konfrontativen Froschperspektive, hinein in so etwas wie eine Metaposition. Das Ziel ist eine Beobachtung von Außen, eine Außenperspektive. Im Vergleich zur zuvor genannten Froschperspektive wäre dies eine Vogelperspektive, im Sinne einer Draufsicht mit Abstand. Ich wünsche Partner*Innen Raum und Zeit für Gedankenspiele, in einer Atmosphäre außerhalb der üblichen Routine.
Große Liebe – Fragen
Vielleicht haben Sie ja auch jetzt gerade Zeit? Ein paar Fragen zum Nachdenken habe ich nachfolgend zusammengetragen:
- Ist sie/er die große Liebe?
- Was verstehe ich darunter?
- Bin ich dabei eher ein Träumer oder eher ein Realist?
- Welche Wunschbilder und Liebesideale verfolge ich?
- Will ich mit ihr/ihm zusammensein?
- Was bedeutet Liebe für uns?
- Schwindet die Liebe und Alltag kehrt ein?
- Welche Form liebevoller Verbindung eint uns?
- Wie zeige wir unsere Liebe?
- Sind wir eher beste Freunde, Teampartner, Ehepartner oder Liebespartner?
- Haben wir ein Zweckbündnis, einen vertraglichen Bund oder eine Liebesbeziehung?
- Halten wir in guten und in schlechten Zeiten aus Liebe zueinander?
- Gibt es bei uns Verliebtheit oder Liebe?
- Wo sehen wir Grenzen?
- Welche Werte und Haltungen leiten uns in unserem liebenden Tun?
- Was ist, wenn einmal gerade keine Liebe da ist?
- Hassen wir uns, weil wir uns etwas bedeuten?